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Perpetual Disruption

Wird uns Technologie retten oder zerstören?

Wenn wir über Technologie sprechen, spalten sich die Diskussionsteilnehmer meist in zwei entgegengestellte Lager. Solche die denken, Technologie wird alle Probleme der Menschheit lösen und jene, die der Meinung sind, dass Technologie unser Untergang ist. Ich werde oft um eine Meinung dazu gefragt. Meine Antwort: Weder noch.

(Lesedauer: 5 Minuten – Originaltitel des Wortspiels wegen: „Will technology make or break us?“)

Haben wir eine Wahl?

Zuerst müssen wir uns den technologischen Fortschritt im historischen Kontext ansehen. Wir wissen, ganz allgemein, dass er sich beschleunigt. Und dass er wohl exponentiell verläuft. Ich betrachte den technologischen Fortschritt als etwas, dass wir nicht groß beeinflussen können. Der Grund dafür sind wir, die die diese Technologie schaffen, selber.

Oft wird in Diskussionen angeführt, dass wir unser Leben ja gar nicht immer noch mehr, noch bequemer, noch weiter und noch besser gestalten müssen. Die Wahrheit ist: Doch das müssen wir.

Drei Dinge sind dafür verantwortlich:

  1. Unsere Faulheit, die uns motiviert, anstatt eine mühsame Tätigkeit immer wieder zu machen, inne zu halten und Zeit zu investieren, um den gesamten Prozess besser zu gestalten. So haben wir begonnen Werkzeuge zu nutzen.
  2. Unsere Neugier, die uns dazu bringt, mehr wissen zu wollen. Auch wenn es nur über Lady Gaga ist. Das ist ein Trieb, den fast alle Menschen haben. In der Summe bringt er die Menschheit dazu, über die gefühlten Grenzen zu gehen und neue Räume zu erschließen. Materiell wie auch geistig.
  3. Unsere Empathie, die dazu führt, dass wir geplante, rationale Vorgehen mit Werte-getriebenen Vorgehen ersetzen. Am eindrücklichsten spielt dieser Effekt bei der Sorge um die eigenen Kinder. Sie können sich im Leben viel vornehmen. Sobald das eigene Kind in Gefahr ist, werfen Sie innerhalb von Sekunden all diese Vorsätze über Board.

Der Mensch kommt weiter, in dem er Technologie entwickelt, die ihm hilft, auf diese drei Treiber einzuzahlen.

Technologie ist ein Strang der Evolution

Zum anderen betrachte ich die von uns entwickelte Technologie als Teil der Evolution. Das tönt erstmal ein wenig komisch, weil wir Technologie meist als etwas Unnatürliches wahrnehmen. Versuchen wir uns also an einem Gedankenexperiment: Was wäre, wenn Ameisen technologisch ausgereifte Werkzeuge entwickelt hätten. Sagen wir kleine Schaufeln und Hacken. Was wäre das für uns? Technologie oder Natur?

Das Selbstbild des Menschen ist dergestalt, dass er sich über den Rest der Natur hinwegsetzt. Gehen wir aber einen Schritt zurück und nehmen eine neutralere Sichtweise ein, müssen wir uns als Lebewesen wie alle anderen auch wahrnehmen. Folglich ist das, was wir schaffen ein Teil der Natur. Die gedankliche Separation „Technologie vs. Natur“ ist etwas, was wir uns selber einbilden. Sie existiert nur in unseren Köpfen.

Aggregation von Information

Ich glaube, in der ganzen Geschichte des Lebens, und wohl auch des Universums, geht es in wesentlichen Teilen darum, Information im physikalischen Sinn zu aggregieren. Die Chancen, dass wir in diesem Prozess einen „Abschnitt“ darstellen, sind recht groß. Warum ist ganz einfach:

Die biologische Evolution benötigte rund 3 Mrd. Jahre, um von den ersten organischen Strukturen bis zum Menschen zu kommen. Wir gehen davon aus, dass nach dem Try & Error Prinzip immer weitere Varianten der Lebensformen sozusagen released wurden, um sie zu testen. Vereinfacht geht es dabei darum, einen Code zu schaffen, der im richtigen Umfeld deployed, eine wiederum verbesserte Version des Codes generieren kann. Dieser Code ist die DNA. Ein effizienter Informationsspeicher. Sie enthält grundsätzliche Informationen zum Bauplan des Codes. Immer wenn ein Release neu geschaffen wird, veränderte sich diese DNA.

Das Hirn der biologischen Lebewesen kann stark vereinfacht als selbstlernendes System betrachtet werden. Wir lernen erst gerade, wie produktiv das Hirn permanent lernt. Wir sehen es am Anfang eines Lebens bei Kindern. Die täglichen Fortschritte sind unglaublich. Die DNA setzt also die Struktur und gibt gewisse lebenserhaltende Features mit. Der Rest lernt der Organismus in seiner Laufzeit.

Biologie wird dem Menschen zum „Verhängnis“

Ein gravierender Nachteil von biologische Organismen ist in dem Zusammenhang der lange „Try & Error“ Zyklus. Da Testdaten für selbstlernende Systeme alles sind, begann der Mensch als solches wiederum Informationen zu sammeln und zu speichern. So konnten Daten, die wir zum Lernen brauchen, außerhalb der biologischen Sphäre weitergegeben werden. Das beschleunigt den Prozess erheblich, da Lerndaten nicht jeweils wieder selbst erarbeitet werden müssen. Es ist kein Zufall, dass unsere Möglichkeiten sich vervielfachten, seit wir in der Lage sind, Informationen in Form von Büchern zu speichern.

Die Aggregation von Information hat sich dadurch vom biologischen Zyklus entkoppelt und übernimmt schleichend die Führung.

Within thirty years, we will have the technological means to create superhuman intelligence. Shortly after, the human era will be ended.

— “The Coming Technological Singularity“ (1993) Vernor Vinge

Es besteht eine gute Chance, dass selbstlernende Nicht-Biologische Intelligenz (lese auch Organismen) diese technologische Führungsrolle übernehmen, denn sie haben den Vorteil, dass sie die Lernzyklen fundamental verkürzen können. Man spricht von einer Post-Human-Ära. Darum ist der Nachbau der Rechenleistung eines menschlichen Gehirns so relevant.

Mensch-Maschine-Komplex

Das ist der Punkt, an dem die Verschmelzung der Maschine mit dem Menschen relevant wird. Denn sind wir nicht mit der Information verbunden, laufen wir Gefahr, recht schnell abgehängt zu werden.

Künstliche Intelligenz wird uns nicht bekämpfen, weil sie es schlicht nicht muss. Es ist eher so, als würde die Menschheit auf einem Bahnsteig stehen und der Schnellzug der Weiterentwicklung würde ohne sie abfahren.

Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob es dazu kommen wird. Denn längst sind wir ein Mensch-Maschine-Komplex. Als Gesamtheit der Menschheit oder im Kleinen – wir bilden eine Einheit. Wir vertrauen tagtäglich einer Armada von Maschinen. Sei das dem Getränkeautomat oder der lebenserhaltenden Maschine auf der Intensivstation. Und wir sind es, die diese Maschinen am Laufen behalten.

Ich denke, wir werden in Zukunft die physische Verschmelzung des biologischen Organismus mit externer Technologie sehen. Anfangen, resp. es hat schon angefangen, wird dies bei intelligenten Prothesen für behinderte Menschen und wird übergehen zu verstärkenden Körper-Extensions.

Entscheidend wird dabei sein, einen direkten neuronalen Link zur verfügbaren Information zu schaffen. Das wird nicht etwa den Lernzyklus gesamthaft beschleunigen. Nein, aber es wird die einzige Möglichkeit sein, für biologische Organismen überhaupt noch daran teilzunehmen.

Endpunkt dieser Entwicklung wird die Überwindung der biologischen Organismen sein. Das heißt nicht zwingend, dass damit auch die Menschheit, wie wir sie kennen, am Ende ist. Es gibt schließlich viele Tiere, die noch immer existieren. Es sind Designs, die sich nicht im selben Masse wie die schnelleren durchgesetzt haben.

Zum Anderen werden wir garantiert den Transfer von biologischer Intelligenz in «maschinelle» Intelligenz sehen. Es könnte dann also maschinelle und organische Menschen geben.

„Es ist so weit, er hat sie nicht mehr alle“

Das werden Sie nun von mir denken. Ich gebe zu, das tönt alles reichlich verrückt. Wenn Sie aber die Erkenntnisse der Forschung und die Geschichte der technologischen Entwicklung im Detail studieren, werden Sie erkennen, dass diese Schlussfolgerungen nicht komplett verkehrt sind. Ich bin ja auch nicht der Erste, der ein solches Verhältnis zu Technologie formuliert. Und: Nur weil etwas logisch erscheint, muss es nicht richtig sein. Das gilt insbesondere für Werte-Diskussionen.

Vieles wird sich natürlich anfühlen

Das Gute an der technologischen Entwicklung ist, dass sie nicht über Nacht geschieht. Der Mensch hat also Zeit, sich an neue Gegebenheiten zu gewöhnen, sie in seine Kultur einzubauen und zu lernen damit um zu gehen. Da sich die Zyklen jedoch verkürzen, muss man auch sagen, dass uns dazu jeweils immer weniger Zeit bleibt. Das bemerken wir bereits und werden wir in Zukunft noch stärker wahrnehmen.

Und was ist jetzt die Antwort?

Die Antwort auf die Frage «Will Technology make or break us?» hängt von Ihrem persönlichen Standpunkt ab. Sie können sie sich selber geben.

Meine Antwort ist daher «es kommt drauf an». Denn ich habe zwei Sichtweisen. Die eine, die des heute agierenden, sozialen Menschen, der gerne lebt und auf dieser Welt, wie wir sie geschaffen haben, ist. Für diese Haltung ist die skizzierte Entwicklung schrecklich, weil sie schlussendlich darauf hinausläuft, dass es den Menschen in seiner heutigen kulturellen Ausprägung nicht mehr geben wird.

Die andere Sichtweise, die eines möglichst neutralen Beobachters, der den Lauf der Zeit allerhöchstens dokumentieren will, findet nicht so viel Beängstigendes daran. Die Welt wird sich ohne Menschen weiterdrehen. Und die Chancen sind hoch, dass die weitere Entwicklung der Intelligenz vom Planeten Erde abwandert und anderswo fortgeführt wird. Es muss wohl optimalere Orte geben, physikalisch, um Information schnell zu aggregieren.

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2 Antworten auf „Wird uns Technologie retten oder zerstören?“

Tja Herr Diethel, der Schöpfer….der wird es wohl nicht mehr ganz so lange machen, wenn sich die Intelligenz rapide weiterentwickelt.

Kennen Sie eigentlich die Serie Futurama? Oder meinten Sie den Schöpfer aus der Matrix?

Wobei ich zugeben muss:
Die Vorstellung, dass (humanoide) Supercomputer sich zukünftig Sonntags um 10 Uhr freinehmen, um einen Transistor aus dem 20 Jahrhundert versammeln, alle Ihre schicksten User Interfaces geladen haben und die kleinen Rechner ermahnt werden, während der Messe bloß still zu rechnen, während das Faxgerät vorne am Altar die immer gleichen „Hello World“-Botschaften ausspuckt, schon ein wenig putzig wirkt.

Alberne atheistische Grüße!

Es ist schlussendlich eine Glaubensfrage, in der der Schöpfer nie ausgeklammert werden darf. Wer Entscheidungen ohne intuitive und ethische Grundlagen trifft, trägt zur devolution bei. Rein logische, ob schnell (sprich digital) oder lansam (analog) entscheidungen führen nicht zum echten Leben, welches zu komplex ist, um es zu errechnen! Also keine Angst, wer sich am Schöpfer orientiert!

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