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Digitalindustrie

Minimum Lovable Product for the win!

Ich begleite im Moment ein großes Omni-Channel eCommerce Projekt für einen Retailer. Wir stecken mitten in der Discovery Phase, diskutieren tausend Anforderungen mit verschiedenen Stakeholdern beim Kunden und versuchen viele lose Enden zusammen zu bringen. In einer der ersten Sessions, in der wir auch die Risiken analysierten, formulierte jemand das Risiko „das zu tun, was machbar ist, anstatt das zu tun, was richtig wäre“. Ich musste schmunzeln, zu oft habe ich in solch großen, eher starren Firmen erlebt, dass man am Anfang überragende Visionen hatte, aber später im Projekt wirklich nur das umsetzte, was grad so machbar ist.

(Lesedauer: 4 Minuten)

Die Wahrnehmung des Machbaren

Da hatte das jemand also begriffen und formuliert. Nun ist es per Definition so, dass man nicht mehr machen kann, als schon machbar ist. Was daher bleibt, ist die Definition des Machbaren zu verändert.

Ich habe schon oft erlebt, dass z. Bsp. die ERP Abteilung eine bestimmte Anforderung mit der Begründung ablehnte, dass dies technisch schlicht nicht zu leisten sei. Als Berater oder PO kann man sich entweder auf solche Aussagen verlassen oder aber diese Hinterfragen. Durch das Hinterfragen stelle ich diese Grenze des Machbaren in Frage. Ist man damit erfolgreich und kann eine bessere und andere Lösung dadurch erarbeitet werden, verschiebe ich diese Machbarkeit zu Gunsten des Produkts. Es wird für den Kunden besser. More Lovable.

Geisteshaltung

In den folgenden Workshops haben wir immer wieder den Begriff Minimum Lovable Product verwendet. Zuerst eher scherzhaft. Später konkreter. Immer mehr kristallisiert sich heraus, dass wir im Projekt eine entsprechende Geisteshaltung entwickeln: Können wir zu Gunsten des Kunden (und damit uns selber) die Wahrnehmung des Machbaren verschieden?

In vielen Fällen ist das erstaunlicherweise möglich. Ein paar Leute müssen ihre Komfortzone verlassen, meist ein paar lange liegengebliebene Hausaufgaben erledigt werden. Ohne ein nochmaliges Nachfragen wäre das schlussendlich nicht geschehen.

Visionäre…

Wie immer mit größeren Firmen, welche durchaus schon ein wenig organisatorischer und administrativer Staub angesetzt haben, gibt es auch in diesem Projekt zwei Lager: Die Visionäre und die Legionäre.

Während die Visionäre wie der Name schon sagt eine Vision haben und das Unternehmen und deren Produkte weiterbringen möchten, in dem sie Wandel vorantreiben und Risiken eingehen, sind die Legionäre eher darauf bedacht, das Bestehende zu sichern oder gegebenenfalls leicht zu entwickeln.

Bei den Visionären rennt man in der Regel mit dem nochmaligen Nachfragen offene Türen ein. Oder man adressiert Dinge, die schon länger stören und man kann als externes Teammitglied festgefahrene Sachverhalte in Frage stellen.

… und Legionäre

Die Legionäre empfinden ein solches Vorgehen bisweilen als beleidigend. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn im Grunde genommen stellt man ja Kompetenz und Autorität derjenigen Person in Frage. Ich versuche, das zu verhindern, in dem ich aufzeige, was alles möglich ist, wenn eben die formulierte Einschränkung wegfallen würde. Meist kommen die Legionäre dann aus eigener Initiative mit neuen Vorschlägen. Es ist immer gut, wenn die Leute selber Lösungen bringen.

Plädoyer

Ich denke, es ist die Pflicht von uns in der Digitalwirtschaft, genau diese Art von eher hartnäckiger Beratung und Begleitung zu bieten. Nein, es geht so nicht alles wie durch Butter. Es ist anstrengender. Aber wir sind diese Anstrengungen unseren Kunden schuldig. Sie bezahlen uns ja schließlich dafür. Und es ist das, was aus mittelmäßigen Lösungen gute Lösungen macht. Eben Minimal Lovable Products anstatt Minimal Viable Products. Und btw, es ist auch das, was aus mittelmäßigen Beratern wirklich gute Berater macht. Also geben Sie sich das nächste Mal einen Ruck und bleiben Sie hartnäckig in der Sache. Es zahlt sich aus.

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2 Antworten auf „Minimum Lovable Product for the win!“

Wieder einmal ins Schwarze getroffen und aus der Seele gesprochen.

Visionäre sind dankbar für eine solche Geisteshaltung bei Beratern. Das Feedback, welches ich von meinen Kunden bekomme zeigt: Es ist leider die Ausnahme. Ich frage mich wieso? Denn zum Schluss sind auch die Legionäre sehr glücklich.

Liebe Berater, raus aus der Komfortzone. Es lohnt sich und ist wesentlich befriedigender.

Sehr schön beschrieben, denn das kennt sicher jeder, der ein größeres Projekt begleitet.

Auch wenn die guten Projektbegleiter schon jetzt versuchen die Grenzen des (angeblich) Machbaren zu erweitern, so finde ich den Begriff für das Ziel unseres Tuns „Minimum Lovable Product“ einfach grandios.

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