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Digital Transformation

Digital Politics – Wie die Digitalisierung die Politik verändern wird.

Vor ein paar Wochen wurden im Kanton (Baselland (Vorlage), entspricht Bundesland) in dem ich lebe, die gesetzlichen Grundlagen geschaffen, damit man in Zukunft elektronisch wählen und abstimmen kann. Die Politiker wurden zwar nicht müde zu betonen, dass die Technologie dazu noch nicht vorhanden sei (wie bitte was?), aber man wolle vorsorgen. Das ist doch schon mal eine erfreuliche Haltung. Noch erbaulicher wird es, wenn man sich ausmalt, welche Auswirkungen die Vereinfachungen in diesem Bereich auf die Politik haben könnten. Ein Ausblick auf die Hoffnung auf eine bessere politische Zukunft.

(Lesedauer 5 Minuten)

Abstimmungen und Wahlen

Als Schweizer geht man in der Regel durch die Welt in der Annahme, man sei so etwas wie das weltweite Vorbild einer Demokratie. Und ja, es hat etwas. Neben den Wahlen, also dem Vorgang mit welchem Politiker in ihre Ämter gehievt (oder abgesetzt) werden, kennen wir die Abstimmungen. Eine Abstimmung kann theoretisch so ziemlich alles betreffen. So z. Bsp. ob tiefere Steuern eingeführt werden sollen (sollen nicht), ob die Zuwanderung begrenzt werden soll (soll), ob am Gotthard eine zweite Röhre gebaut werden soll (wird man dann sehen).

So kann grundsätzlich über alles abgestimmt werden. Buchstäblich. Von meinen Deutschen Kollegen wird das bisweilen belächelt. Es sind aber auch „dieselben“ Deutschen, deren „Nation“ in der Bild eine „Volks-Abstimmung“ zum Grexit fordern. Die Debatte auf Twitter darüber ob es nun das Volk oder die Politiker besser wüssten, fand ich amüsant, weil Demokratie ja nicht dafür sorgt, die beste und fachlich fundierteste Entscheidung zu fällen, sondern das Volk, also die Mehrheit aller Stimmberechtigten, hat immer Recht. Auch wenn es fachlich falsch liegt. Basta.

Warum fällen Politiker Entscheidungen?

Den wirklichen Grund dafür haben wir, behaupte ich, längst vergessen. Der Grund ist recht simpel: Es ist die Effizienz. Da die Befragung des Volkes sehr aufwändig war (früher mit einer Landesgemeinde, also dem Zusammengekommen der Einwohner und der Abstimmung über Sachgeschäfte im Plenum), der politische Betrieb jedoch Entscheidungen in kurzen Abständen erforderte, war es naheliegend, Volksvertreter (daher der Name) zu bestimmen, welche ebendiese Einwohner in weniger richtungsweisenden Entscheidungen vertreten. Dass dabei die Mehrheit des Volkes maßgebend war und ist, stellt den Kern einer jeden Demokratie dar.

Parteien sind Gift für Demokratie und Effizienz

Diese so bestellten Volksvertreter taten in der Folge nicht, was sie eigentlich im Sinne des Systems tun sollten, nämlich nach bestem Wissen und Gewissen im Sinne der Mehrheit des Volkes zu walten, sondern sie begannen Allianzen zu schmieden. Die Parteien entstanden. Parteien handeln nicht im Sinne des Volkes, sondern im Sinne der Interessen, die hinter diesen Gruppierungen stehen. So wurden über die Jahrzehnte aus den Volksvertretern Interessenvertretern. Und aus dem politischen Betrieb wurde ein, wenn auch kultivierter, Kleinkrieg der politischen Lager. Die Idee von Links und Rechts entstand und hat sich leider fast schon irreversibel in die westliche Gesellschaft eingebrannt.

In der heutigen Politik wird unglaublich viel Energie darauf verwendet, jeweils gegen Links und gegen Rechts zu kämpfen. Energie, die wir dringend benötigten, um emotionslos im Sinne der Mehrheit des Volkes zu handeln, Probleme zu lösen, die Gesamtsituation weiter zu verbessern.

Dabei wissen wir alle nur zu gut, dass es eben nicht nur Schwarz und Weiss, Links und Rechts gibt. Es sind die Mittelwege die die Menschen weiterbringen, die Kompromisse, die Einsichten. Eine Gesellschaft muss immer ein Miteinander sein. Ein dogmatisches Festhalten an „Grundsatzwerten“ richtet ein Land und seine Gesellschaft regelrecht zu Grunde. Anschauungsbeispiele dafür gibt es bekanntlich genug.

Die Digitalisierung soll das ändern?

Ich behaupte ja, sie hat das Zeug dazu. Weil sie den Prozess des Abstimmens radikal vereinfachen kann. Aktuell stimme ich jedes Jahr wohl rund 20 mal in irgendeiner Sachfrage ab. Das heisst, ich, wie rund weitere ca. 6 Mio. Stimmberechtigte, erhalten einen grauen Umschlag mit Zetteln, auf denen die Abstimmungsfrage notiert ist. Auf diese Zettel kann ich dann mit Ja oder Nein antworten. Diese ausgefüllten Zettel kann ich am Wahlsonntag (Tradition!) bei der Gemeindeverwaltung (Kommune) persönlich abgeben oder aber ich kann brieflich abstimmen. Ein riesiger Aufwand und Ressourcenverschleiss. Und ein Prozess, der für die allermeisten Bürger viel zu mühsam ist. Davon zeugt, auch wenn sie auch noch andere Gründe hat, die sensationell tiefe Wahl- und Abstimmungsbeteiligung jeweils. In der Regel entscheiden so nur rund 15% der Einwohner über die Geschicke des ganzen Landes.

Die Voting Experience ist ausschlaggebend

Wenn also der Abstimmungs- und Wahlvorgang digitalisiert und dadurch stark vereinfacht wird, hat dies zwei Folgen:

Mehr Stimmberechtigte werden abstimmen

Die Anzahl der Einwohner, die überhaupt abstimmen, wird sich erhöhen. Einfach dadurch weil das Prozedere viel einfacher ist. Stellen Sie sich vor, Sie könnten Ihre Stimme auf dem Handy abgeben. So einfach wie wir z. Bsp. heute bei Amazon die Artikel bestellen, welche wir im Offline-Storen nicht gefunden haben. Auf dem Weg zum Parkplatz, in der Strassenbahn oder abends auf der Couch. Zudem kann eine elektronische Lösung Erinnerungen absetzen und auf einfache Weise zusätzlichen Informationen anzeigen (die heute als Abstimmungsunterlagen auch gedruckt und verschickt werden). Die Volksbefragungen werden dadurch repräsentativer und erhalten mehr Gehalt.

Mehr Abstimmungen sind möglich

Dadurch, dass der Prozess viel einfacher ist, könnten viel mehr Abstimmungen durchgeführt werden. Z. Bsp. einmal monatlich. Würde dann das Wahlrecht noch in eine Wahlpflicht (gibt es z. Bsp. in einem Kanton in der Schweiz bereits) verändert (weil jetzt auch zumutbar), könnte eine viel direktere Demokratie etabliert werden. Viele Sachfragen würden nicht mehr weniger dem Kleinkrieg der Parteien und deren Taktik und Strategie erliegen, sondern ganz einfach vom Volk entschieden. Das ist ein Schritt in Richtung Liquid Democracy.

Ein Volk von informierten, bestimmenden Bürgern

Die Digitalisierung und Vernetzung hat in den letzten 20 Jahren dazu geführt, dass die Bevölkerung viel informierter ist. Dadurch ist die Diversität an Meinungen auch viel höher. Die typischen Klassifizierungen und Zugehörigkeiten verfallen und endlich ergibt sich dadurch auch eine schleichende Ent-Dogmatisierung von politischen Meinungen. Ich empfinde es z. Bsp. befreiend, wenn Menschen für den Umweltschutz sind und aber gleichzeitig auch stark wirtschaftsfreundlich sind. Oder Sozialwerke stärken, aber gleichzeitig die Zuwanderung beschränken möchten.

Denn genau das ist, was eine Gesellschaft stark macht. Eine differenzierte Ansicht zu politischen Themen. Kein Blindes Folgen in ideologischen Trampelpfaden. Und darin liegt auch meine Hoffnung für den Politikbetrieb, dass die Digitalisierung ihn schneller, effizienter, direkter, differenzierter, repräsentativer und damit auch gerechter für die Menschen macht. Es ist eine Frage der Zeit.

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3 Antworten auf „Digital Politics – Wie die Digitalisierung die Politik verändern wird.“

Guten Tag Herr Veuve

Lassen wir mal Ihre sehr negative Darstellung von Parteien und Politiker beiseite (was ist „im Sinne des Volkes“? Wer bestimmt das?).

Sie haben eine ziemlich einfache Vorstellung von eVoting, welche schlicht nicht mit der Realität übereinstimmt.

Die Behauptung „Mehr Stimmberechtigte werden abstimmen“ ist bisher nachweislich falsch. Dort, wo eVoting eingeführt wurde, hat eine Substitution des Wahlkanals stattgefunden. D.h. statt brieflich wurde neu einfach elektronisch abgestimmt. Aber nicht von mehr Leuten. Ausnahme sind einzig die Auslandschweizer, aber das ist auch logisch.

Und so einfach wie ein Einkauf bei Amazon wird eVoting nie sein. Das Sicherheitsprozedere ist aufwändiger als die briefliche Abstimmung (siehe z.B. das Testportal der Post). Wir haben uns in Basel-Stadt, wo ein entsprechendes Projekt umgesetzt werden soll, erst gerade ausführlich damit auseinandergesetzt.

Ich bin sehr überzeugt vom Nutzen der Digitalisierung und ich glaube dass es im Bereich eGovernement noch ein riesiges Potenzial gibt. Aber beim eVoting sehe ich den Nutzen bisher noch nicht, insbesondere im Verhältnis zu den damit verbundenen Risiken. Die Ressourcen würde man viel lieber in Projekte investieren, die den Bürgerinnen und Bürgern wirklich etwas bringen.

Auf den Punkt getroffen, Alain! Hervorragender Beitrag, leider sind öffentliche Stellen nicht sehr innovationsaffin. Mein letztes Jahr dazu veröffentlichtes Buch verkauft sich zwar ganz gut, nur kommt’s leider nicht „an den richtigen Orten“ zum Tragen…

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