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Warum Sie heute weder Betriebs- noch Volkswirtschaft studieren sollten.

Den Ausschlag für diesen Artikel gaben zwei Erlebnisse: Ich habe Jahre nach dem Betriebswirtschaftsstudium ordnerweise Unterlagen aus selbigem endlich entsorgt. Und ich hatte ein Bewerbungsgespräch mit einem jungen Mann, der mir seine unterschwellige Frustration mit dem Studium und den ersten Berufserfahrungen auf einer Großbank Kund tat. Was ich eigentlich schon lange ahnte, wurde für mich bange Gewissheit. Ich hätte nicht Wirtschaft studieren sollen.

(Lesedauer: 4 Minuten)

Wie aus einer anderen Zeit

Der ganze Berg Papier in Ordnern: Wie das so ist, setzt man sich bei solchen Entsorgungs-Aktionen meist einmal hin und beginnt zu blättern. Jetzt wo ich all diese Studienunterlagen wieder lese, merke ich wie «abgefahren» das Ganze ist. Das Studium damals war Pflichtprogramm für mich, ich wollte neben den unternehmerischen Aktivitäten einfach noch etwas Richtiges, Akzeptiertes lernen.

Ich war damals in der glücklichen Lage, als einziger meiner Klasse auch (Klein-)Unternehmer zu sein. Vieles von dem, was ich damals lernte, konnte ich in Relation zu meinem Alltag setzen. Für mich und meine kleine Welt beurteilen, ob es stimmig ist oder nicht. Und so manches, was ich lernen musste, fand ich damals schon ein wenig grenzwertig. Aber ich wollte den Abschluss und gut war. Ich musste ja nicht einverstanden sein, mit dem was ich in den Prüfungen niederschrieb.

Aber ganz ehrlich, was ich da jetzt, 10 Jahr später, wieder durchblätterte, las sich wie ein Relikt aus alten Zeiten. Ob es nun Personal, Investitionen, Materialwirtschaft, Produktion, Marketing, Führung und oder resp. vor allem Organisation ist, überall zeichnen sich fundamentale Paradigmenwechsel ab. Geht die Zukunft in eine andere Richtung.

Warum Sie heute weder Betriebs- noch Volkswirtschaft studieren sollten.

Daneben gibt es die, sozusagen nützlichen, Dauerbrenner: Finanz- und Rechnungswesen. Das ist, wenn Sie so wollen, auch mein Key-Take-Away aus dem Studium.

Das Dilemma fängt schon bei den Grundlagen an

Das Dilemma indes fängt schon bei den Grundlagen an. Beispiel Volkswirtschaft: Dass die klassische Konzeption bis 1930 eigentlich seine Gültigkeit hatte und nach dem Schockerlebnis der Massenarbeitslosigkeit durch Keynes abgelöst wurde, war für mich selbst als Mittzwanziger äußerst suspekt. Dass darauffolgend die Monetaristen durch die Kontrolle der Geldmenge sozusagen alles steuern sollte, hielt genau bis zur Ölkrise, um dann von den Angebotsökonomen abgelöst zu werden.

Das nenne ich stochern im Sumpf. Wie krass verquert die ganzen Konzepte per se sind, wird uns gerade in den letzten 10 Jahren vorgeführt. Wir befinden uns in einer permanenten Krise, wenn man den Volkswirten glauben will. Allein die Krise kommt beim Menschen in der Breite nicht an. Und bevor Sie sich jetzt im Kommentarfeld und in Mails an mich austoben und mir schreiben, wie dieser und jene Berufszweig ganz arg leidet: Bitte beschäftigen Sie sich mit den Statistiken zu Erwerbseinkommen, Steuern, Lebensqualität und Lebenserwartung. Das Leben ist fundamental besser geworden. Auch in den letzten 10 Jahren wieder.

Es fehlt bis heute eine grundlegende logische Konzeption, über wie Wirtschaft funktionieren soll. Es fehlen die „First Principles“. Der Grund warum das so ist, ist simpel. Wirtschaft ist ein Spiel mit laufend ändernden Spielregeln. Eine Wirklichkeit, die wir uns permanent zurechtrücken. Das kann nicht erforscht werden. Viel schlimmer, es macht vor allem keinen Sinn, das zu erforschen.

Es sind keine Wissenschaften

Und auch wenn das nun nicht viele gerne hören: Wirtschaft ist keine Wissenschaft. Genauso wie Theologie keine Wissenschaft sein kann. Oder die Erforschung von, sagen wir, Donuts. Es ist eine gesuchte Lehre.

Wissenschaft ist das Ansammeln von immer mehr Wissen über Dinge, welche gemessen werden können. Was wir so wahrnehmen können, können wir beurteilen, erforschen. So gesehen, geht es bei Wissenschaft vor allem darum, möglichst diese Wahrnehmungskurve in Richtung mehr Erkenntnisse zu verschieben. Die Kunst ist dabei, durch eine Theorie auch jene Teile gedanklich abzudecken, welche noch nicht in unserer Wahrnehmung liegen können. Und nicht diese Teile zu dominieren oder zu verändern. Das ist in etwa so, wie wenn ich eine Gleichung so verändere, damit ein vorher gefasstes Resultat stimmt. Genau das versuchen die Wirtschaftswissenschaften. Und es ging denn auch reichlich schief. Nur äußerst selten traf (und trift) zum Beispiel eine Konjunkturprognose wirklich zu.

Also hören Sie mir bitte auf mit Wirtschaftswissenschaften. Der Gipfel der Lächerlichkeit: Man kann darin sogar doktorieren.

Akademischer Wert

Man kann nun sagen, ok, der akademische Wert ist sekundär. Ich lerne dort viel, was ich im Business später verwenden kann.

Für gewisse Bereiche mag das stimmen. Z. Bsp. für Buchhaltung und Finanzen. Zahlen im Griff zu haben und von Finanzen eine Ahnung zu haben, ist fundamental als Unternehmer. Da habe ich tatsächlich so einiges gelernt. Auch rechtliche Grundlagen zu lernen, macht sicher Sinn. Dann ist aber leider bald Schluss.

Denn die Konzepte der letzten 50-100 Jahre, wenn auch aufgefrischt, bringen die nächsten 50 Jahre nicht mehr viel. Davon bin ich überzeugter denn je. Machen Sie den Test und schlagen Sie z. Bsp. ein Lehrbuch mit aktueller Organisationslehre auf. Wenn Sie Ihr Unternehmen im Zeitalter des exponentiellen technologischen Fortschritts so organisieren und führen, gehört Ihr Unternehmen zu den Verlierern. Das ist nur ein Beispiel. Sie können in praktisch alle Bereiche sehen. Es ist endlos.

Zeitalter der Verwaltung ist vorbei

Der grundlegendste Paradigmenwechsel findet aber dadurch statt, dass man Unternehmen in Zukunft nicht mehr verwaltet und berechnet, sondern (wieder) gestaltet und entwickelt.

Es sollte einen Bachelor in «Intrapreneurship» geben!

Ein wirklich großer, neuer Bachelor Lehrgang würde ich «Intrapreneurship» nennen und neue Wege und Konzepte lehren, welche Unternehmen befähigen, pro-aktiv in Bezug auf neue Technologie, resilient in Bezug auf schnelle Veränderungen und agil im Allgemeinen zu handeln.

Wir müssen bei der Bildung ansetzen

Um diesen Kulturwandel anzuschieben, müssen wir in der Bildung neue Konzepte und Denkmuster in Angriff nehmen. Denn die wenigsten Studenten sind so wie der junge Herr, der sich bei uns bewarb: Kritisch aber nicht ablehnend, wach und offen. Die meisten jedoch nehmen, was Ihnen gelehrt wird erstmal für bare Münzen. Für sie wird das Erwachen in den nächsten Jahren besonders hart.

Was studieren?

Interessanterweise werde ich das oft gefragt, obwohl ich ja nie so eine klassische akademische Laufbahn hatte. Ich habe immer alles gleichzeitig gemacht. Und das Business ging immer vor. Und das war rückblickend auch richtig.

Müsste ich heute entscheiden, was ich studieren sollte, würde ich wohl Physik, Mathematik oder Recht studieren. Recht ist zwar wohlgemerkt auch keine Wissenschaft, aber die halt beste generalistische Ausbildung, die man im Moment in Bezug auf spätere Tätigkeiten machen kann. Also als street-smarter Jurist, nicht als book-smarter.

Physik und Mathematik werden in der heutigen Zeit aber wichtiger denn je. Sie sind sozusagen die Grundlagen auf dem alles Spannende und Weltverändernde stattfinden wird.

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10 Antworten auf „Warum Sie heute weder Betriebs- noch Volkswirtschaft studieren sollten.“

Man würde nur Intrapreneure zulassen wenn das Unternehmen in eine existenzielle Schieflage manövriert wurde (siehe die Abgaskrise bei VW und seinen Marken)
Aber dann auch nur wenn der Vorstand solche autonomie versuche unterstützen würde. Und das sehe ich leider nicht.

Man sollte zumindest weder Business noch Economics in Deutschland studieren, in den Anglo-Amerik. Ländern dafür schon eher. Economics ist schon eine Art Wissenschaft mittlerweile, sogar sehr mathem., vor allem an den Top Unis in den USA. Wer was anständiges in diesem Bereich studieren möchte, sollte Econometrics studieren + einige Programmiersprachen lernen. Die nächsten 15 Jahre wird man so immer einen super Job haben, danach übernehmen die Maschinen. Finance nur, wenn man auf Banken usw steht, auch da übernehmen bald die Maschinen alles.

Absolut richtig. Ein Kritikpunkt sehe ich in all der Entwicklung darin, dass ein Chef nicht nur in der Buchhaltung, mathematisch und juristisch auf der Höhe sein muss, sondern auch in der Führung der Mitarbeitenden und bei der optimalen Zusammenstellung von Teams. Denn die Mitarbeitenden bringen schlussendlich den Umsatz. Führung kann man allerdings aus meiner Sicht nur bedingt lehren.

Lieber Alain, wir sind uns mal wieder in vielen Punkten einig. Ich ergänze mal ein wenig ketzerisch die These, dass das alles kein Zufall ist, sondern von den „rekrutierenden“ Firmen zum überwiegenden Teil so gewollt ist:
Typischerweise sind Jung-Wirtschaftler meiner Erfahrung nach hauptsächlich in größeren Firmen anzutreffen – als Account-Manager, als „Aufpasser“ im Einkauf, im Controlling etc. Seltener in kleinen, hochdynamischen Strukturen. Aus meiner Sicht oft in Positionen, wo es um Verwalten und vorsichtiges Optimieren des Bestands geht und weniger um grundsätzliches Hinterfragen oder Neu-Schaffen.
Passt also? Offenbar.

Das bringt mich zur interessanten Frage: Wäre man in diesen Firmen denn überhaupt bereit, Intrapreneure zu tolerieren und sich der Gefahr des von innen getriebenen Wandels auszusetzen …

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