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Digital Transformation

Warum Branchen und Unternehmen in den Strudel der Disruption geraten!

Disruption ist eines der Schlagworte unserer Zeit. Gemeint ist damit im Business-Zusammenhang der völlige Umbruch einer Branche durch neue Lösungen, welche die Bedürfnisse der Kunden besser abdecken. Disruption ist bei altgedienten Branchen gefürchtet, bei Start-Ups das erklärte Ziel. Seit ich das Erklärungsmodell zur Digitalen Transformation veröffentlicht habe, werde ich immer wieder gefragt, wie sich denn diese Wechselwirkung von technologischem Fortschritt und dessen Adaption durch die Gesellschaft und Unternehmen in einzelnen Branchen auswirkt. Prominent dabei, die Frage ob ich denke, ob Branche XY wohl auch von der Digitalisierung betroffen sei. Absehbare Antwort: „Auf jeden Fall.“ Hier ist warum, erklärt anhand des „Industry Disruption Models“

(Micro-Essay – Text lesen: 7  Minuten – Verstehen: 15 Minuten)

Der ultimative Zweck einer Branche ist die Lösung eines Userproblems

Die Aufgabe der Wirtschaft ist es, immer Aufgaben des Menschen zu lösen. Der Mensch als Gesamtes strebt danach mit möglichst wenig Einsatz möglichst viel zu erreichen. Das gilt auf allen Ebenen. Dabei gibt es größere Aufgaben wie z. Bsp. das Eliminieren von bislang unheilbaren Krankheiten (noch nicht umfassend gelöst) aber auch banales wie z. Bsp. das Eliminieren des mühsamen Umstellen eines Fernsehkanals am Gerät selbst (umfassend gelöst, durch die Fernbedienung) zu bewältigen. So sarkastisch das klingen mag, der Treiber für die Lösung ist derselbe: Es soll dem Menschen besser gehen – im Großen wie im Kleinen.

Die Lösung der Probleme folgt einer logischen Hierarchie

Bei der Lösung der Probleme ergibt sich eine simple Regel: Eine Teil-Lösung führt zur Erkenntnis eines neuen Problems. Ein Beispiel: Bevor die Waschmaschine eingeführt wurde, wurde das Trocknen der Wäsche nicht als sonderliches Problem wahrgenommen. Schlicht und einfach deshalb, weil das manuelle Waschen eine große, aufreibende Arbeit war und das manuelle Trocknen vergleichsweise einfach. War das Waschproblem gelöst, fiel als nächstes das Trocknen ins Gewicht. Das ist warum uns die Herausforderungen und Probleme auch in einer hochtechnologisierten Gesellschaft so schnell nicht ausgehen werden.

Zusammenfassung von kleineren Userproblemen zu User Stories

Um beim Waschen zu bleiben: Diese kleineren Userprobleme, also das Sammeln der Wäsche, das eigentliche Waschen, das Trocknen, das Bügeln und das Verstauen der sauberen Wäsche können zu einer User Story zusammengefasst werden: Als Mensch möchte ich saubere Wäsche mit möglichst wenig Aufwand haben. Im betriebswirtschaftlichen Kontext würde man dabei von möglichst tiefen Kosten sprechen, die das Individuum auf eine solche User Story verwenden möchte. Kosten sind dabei alles was ihm Aufwand beschert, unabhängig davon, ob dieser Aufwand monetärer Natur ist oder nicht.

Eine Branche kümmert sich in diesem Kontext meist um verschiedene Userprobleme entlang dieser User Story. Sie tut dies, weil sich daraus Synergien ergeben. So ist es, um beim vorhergehenden Beispiel zu bleiben, Waschmaschinenanbieter einfacher im Markt auch einen Tumbler einzuführen, für Anbieter die Drucker anbieten, ist es naheliegend, auch Papier zu verkaufen und so weiter.

Wie bilden sich Branchen? Wie gehen sie zu Grunde?

Folgende Grafik soll aufzeigen wie sich Branchen aufbauen und wie sie durch Disruption wieder neu formiert oder zerstört werden.

Disruption of Industries

Lassen Sie mich das erklären:

Auf der y-Achse finden wir die Kosten des Userproblems für den Kunden, auf der x-Achse findet sich der Zeitraum in dem die Kosten gesenkt werden.

Die orange Gerade repräsentiert die Erwartungshaltung des Users. Er erwartet, dass sich das Problem immer einfacher lösen lässt. Dabei stellt er nicht von Anfang an den Anspruch, dass es quasi von heute auf morgen gelöst ist. Vielmehr geht er von einer linearen kontinuierlichen Verbesserung aus.

Die grüne Gerade spiegelt die Fähigkeit der Anbieter wieder, kommerzielle, mehrheitsfähige Lösungen anzubieten. Folgende Phasen skizziere ich:

  1. Erkenntnis des Problems und erste Lösungsansätze

Ein Anbieter erkennt, dass für ein Problem eine Lösung erarbeitet werden kann. Allgemein spricht man von Marktlücken, was aber eher irreführend ist, denn es ist eine Lösungslücke. In der ersten Zeit kommen Produkte auf den Markt, welche teilweise schon gute Ansätze haben, aber die Erwartung der Kunden nicht erfüllen können.

Sie kennen das. Z. Bsp.: Erster Staubsaugerroboter gekauft und allmählich realisiert, dass diese Geräte wohl bald wirklich umfassend nutzbar sind, dieses erste Modell aber noch nicht praxistauglich ist. Diese Phase ist daher wichtig, weil die Gesellschaft die neue Technologie allmählich annimmt. Sie muss sich daran gewöhnen.

  1. Produkt(e) erfüllen die Erwartungen der User

Wenn die Fähigkeiten der Anbieter die Erfüllung der Erwartung der User ermöglichen, entsteht ein relevanter Markt. Die Verbesserung der Produkte verlangsamt sich automatisch, da die Produzenten die Investition der Produktentwicklung amortisieren möchten. Das geht so lange gut, bis die Erwartungen der Kunden wieder viel höher sind als, dass es die Anbieter leisten können.

  1. Disruption

Was nun geschieht ist die eigentliche Disruption: Zum einen hat sich ein Anbieterfeld gebildet, das durch die kontinuierlichen Revenue an Innovationsmotivation und Momentum verloren hat. Zugleich erwarten die Kunden jedoch bereits wieder Lösungen, welche das Problem zu wesentlich kleineren Kosten zu lösen vermögen.

Dieses Umfeld ist der ideale Nährboden für neue Anbieter, welche sich neue oder stark verbesserte Technologien zu eigen machen, um die Userprobleme viel besser zu lösen. Da sie, im Gegensatz zu den bestehenden Marktplayern, nicht an langsam gewachsene und festgefahrene Strukturen gebunden sind, können sie in der Regel einen Markteintritt mit viel weniger Aufwand und einiges schneller bewerkstelligen.

Dazu kommt, dass meist eine echte Innovation verfolgt wird. Es wird anstatt eine Evolution des Bestehenden, ein genereller Paradigmenwechsel zur Lösung des Problems vollzogen. Meist resultiert dies in einem für die Branche komplett neuen Geschäftsmodell.

Die Folgen dieses Prozesses sind hinlänglich bekannt. Die bestehenden Player samt ihren bewährten Geschäftsmodellen geraten in Bedrängnis, neue Akteure gelingt ein zuweilen kometenhafter Aufstieg. Die Digitale Revolution ist sozusagen ein Vorzeigeeffekt dieser Hintergründe.

  1. Überinnovation

Diese Disruption wird so lange vorangetrieben, wie sich das lohnt. Es werden Investitionen angehäuft, welche über kurz oder lang wieder durch den Markt zurückbezahlt werden müssen. Die beeindruckenden Erfolge der neuen Player ziehen dabei neue Investoren in der Regel in hohem Masse an. Sie investieren so lange, bis sie keine Chance auf Amortisation mehr sehen. Darum entstehen diese Wellenbewegungen in der Venture Capital Welt. Ein Bereich ist hip und es wird investiert und plötzlich lassen viele VC wieder die Finger davon.

  1. Iterationen

Dieser Prozess spielt sich in Iterationen meist über mehrere Jahrzehnte ab. Die Ausprägungen der Kurven können flacher oder steiler sein. Im Chart ist nur eine Iteration abgebildet.

  1. Prozess abgeschlossen

Diese Iterationen wiederholen sich so lange, bis der Kunde eine abgeflachte Erwartungshaltung zeigt. Tritt dieser Zustand ein, kann ein Problem als vorerst gelöst bezeichnet werden. Das heißt nicht etwa, dass es technologisch nicht noch bessere und einfachere Lösungen geben würde. Das Ecosystem sieht jedoch den Wert einer Verbesserung nicht mehr. Das heißt, das Risiko aus weiteren Investitionen in neue Produkte keine angemessene Amortisation erzielen zu können, erscheint zu hoch.

Ein Beispiel für ein solch gelöstes Problem ist das „Feuer machen“: Mit der Einführung von handlichen, kleinen und sehr günstigen Feuerzeugen wurde das Problem gelöst. Es lohnt sich nicht die Lösung zu verbessern, auch wenn das aus technologischer Sicht sehr wohl möglich wäre.

Langsamer technologischer Fortschritt vs. Schneller technologischer Fortschritt

Was ich bis jetzt in diesem Artikel noch nicht erwähnt habe, ist der unterliegende technologische Fortschritt. Wie ich schon mehrfach ausgeführt habe, ist dieser Fortschritt exponentieller Natur. Durch diesen verändern sich zwar die generellen Gesetzmäßigkeiten nicht komplett, jedoch begünstigt er neue, unkonventionelle Anbieter überdurchschnittlich. Lassen Sie mich auch hier erklären warum:

Disruption of Industries

Auf der orangen Geraden bilde ich wieder die Erwartung des Users ab.

Die rote Gerade repräsentiert die Adaption des Angebots an die Erwartungen der Kunden unter dem Einfluss von kleinem, langsamem technologischen Fortschritts. Die blaue Gerade zeigt die Adaption des Angebots an die Erwartungen der Kunden unter Einfluss des sich rasch beschleunigenden technologischen Fortschritts.

a) Kleine, und schnelle Technologieanpassungen meistern bewährte Unternehmen

Dies hauptsächlich darum, weil kleinere Technologiesprünge im selben Geschäftsmodell einfach abgehandelt werden können. Das Produkt kann verbessert und damit die User-Erwartung erfüllt werden, ohne dabei Grundlegendes wie das Geschäftsmodell auf den Kopf zu stellen.

b) Exponentiell wachsender technologischer Fortschritt ändert alles

Sind nun aber die möglichen Technologiesprünge viel grösser, gerät die Branche aus dem Gleichgewicht. Denn die neuen Anbieter können mit radikal verbesserten Lösungen (lese Produkte und Dienstleistungen) aufwarten. Anstatt die Erwartungen der User nur zu erfüllen, übertreffen sie diese massiv. Umso schneller werden neue Produkte durch User adaptiert und umso erfolgreicher sind diese Anbieter im Markt.

Zum einen schaffen sie so eine Abkürzung in der Marktentwicklung. Zum anderen, und das ist für die traditionellen Anbieter verheerend, erhöhen sie so die Erwartung an neue Produkte massiv. Darum kommt uns das auch so lächerlich vor, wenn Volvo ihr Modell „V60 Twin Engine“ damit bewirbt, dass es bis 50 km rein elektrisch fahren kann, während die Innovationsführer im Markt 450+ km schaffen. Unsere Erwartungen sind schlicht bereits einiges höher.

c) Wettbewerbsvorteile

So entstehen zwischen den verschiedenen Niveaus der technologischen Adaption Wettbewerbsvorteile für diejenigen Anbieter, welche den raschen technologischen Fortschritt für sich nutzen können. Ein weiterer Wettbewerbsvorteil besteht darin, dass durch die langjährigen, bequemen bisherigen Marktführer das Kostenniveau hoch ist. Neue Marktteilnehmer können daher meist zu wesentlich tieferen Kosten neue Produkte lancieren und sie kommen so mit einem besseren Produkt auch noch schneller zum Break-Even. Beides, schnellere „Time-to-Market“ und tiefere Grundkosten sind Gift für bestehende Anbieter.

d) Transformational Gap

Was dadurch entsteht, habe ich „Transformational Gap“ genannt. Eine Lücke, die bestehende Anbieter nur durch eine umfassende Transformation bewerkstelligen können. Wenn ich sie umfassend nenne, dann meine ich das so: Auf den Ebenen Unternehmenskultur, Organisation, Finanzierung, Vermarktung und Produktentwicklung.

Wo ist sie nun, diese Perpetual Disruption?

Der zugrunde liegende Treiber dieser Veränderungen ist das beschleunigende Wachstum des technologischen Fortschritts. Das ist der Kern der These der Perpetual Disruption:

Wir müssen davon ausgehen, dass diese „Transformational Gaps“ immer grösser und in immer kürzeren Zeitabständen aufeinander folgen werden.

Marktteilnehmer sind also gefragt, diesen Umgang mit den „Transformational Gaps“ möglichst zu ihrer Kernkompetenz zu machen. Mehr denn je wird in Zukunft eine Firma ausmachen, wie gut sie mit diesem Wandel umgehen kann. Als mögliches Konzept dazu sehe ich sogenannte „Pop-Up Business Modelle“: Kurzfristige Konzepte, die die Komponenten Produktentwicklung, Generieren von Revenue-Streams und Vermarktung kombinieren. Dazu in einem Folgeartikel mehr.

 

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8 Antworten auf „Warum Branchen und Unternehmen in den Strudel der Disruption geraten!“

„50km elektrisch … V60 Twin Engine“
Das Beispiel hat wohl mit exponentieller Entwicklung zu tun, aber nicht ganz im verwendeten Sinn. Zeigt es doch ganz amüsant, dass die Zusammenhänge von potentiellen Kunden einfach immer weniger verstanden werden. Im Beispiel geht es doch um EVs (Elektrofahrzeuge…https://de.wikipedia.org/wiki/Elektrofahrzeug). Konkreter um BEVs und im Falle dieses V60 eben um ein PHEV, welches nicht mit einem reinen EV bzw. BEV verglichen werden darf.

Wäre ein interessanter Aspekt für einen neuen Beitrag.
Äpfel und Birnen eben ;)

ich habe schon bei dem Satz „Es soll dem Menschen besser gehen – im Großen wie im Kleinen“ aufgehört, weiter zu lesen. In jedem Betriebswirtschaftslehrbuch steht: Der Sinn eines Unternehmens ist es, Gewinn zu erzielen. Bedeutet, es geht einfach ums Geld. Ob neue Technologien unser Leben immer besser machen, wage ich auch zu bezweifeln. Mitunter mag ein Erfinder den Gedanken nach einer Verbesserung hegen, aber am Ende des Tages geht es um das liebe Geld. Ich könnte gut auf 100 Fernsehsender verzichten oder würde lieber 10 Briefe am Tag schreiben, als 100 Mails just in Time zu beantworten. Mir stellt sich mittlerweile die Frage, was brauchen wir tatsächlich, um ein achtsames, glückliches und gesundes Leben zu führen, müssen wir unser Leben immer noch schneller machen, Ressourcen verbrauchen, die eigentlich sinnvoller eingesetzt werden könnten? Oder geht es am ende des Tages nur darum, die Finanzströme am Laufen zu halten und das erwerbslose Einkommen ins unermessliche zu mehren?

Lieber Alain,
sie beschreiben interessant einen Teil mölichen Sichten auf Innovationen und Disruptionen. Was ist aber mit der Gesellschaft und deren Bedarfen, einer Perspektive über das Individium hinaus? Was ist mit dem Staat, der wissenscahftlich-technischen Entwicklung, der Kultur und den Interdependenzen? Heute geht es doch auch und grade angesichts der technischen Kompetenz wieder um die simpe Frage: Wie wollen wir leben? Mit Grundeinkommen? In einer Platform-Ökonomie? Oder in Bubbles? Wir müssen also auch weiter denken…oder?

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